Interview mit Schülerin für einen Fachtag, 12. Klasse

Anna Mendel guckt dirkt in die Kamera. Sie trägt eine auffällige rote Brille und ein schwarzes T-Shirt

Schülerin: Welche Art von Reaktionen (haben) Sie von Eltern und Kindern auf ihre Arbeit erhalten, die sich mit diesen sensiblen Themen befassen? 

Anna Mendel: Oh, da war alles dabei. Bei den Erwachsenen: Von „Was darf man denn überhaupt noch lesen oder schauen?“ über „Aber dann ist ja alles rassistisch!“ bis hin zu „Oh, da müssen wir uns aber anstrengen, es besser zu machen.“ Viele sind sehr stolz darauf, dass Sie schon viel wissen und gelernt haben und sind trotzdem immer noch überrascht, wo denn überall Rassismus drin stecken kann.

Mit Kindern direkt arbeite ich bisher noch nicht so viel zusammen, aber wann immer ich Kindern erkläre, warum etwas diskriminierend oder verletzend ist, finden die das total logisch. Im besten Fall bringen Kinder einen Gerechtigkeitssinn mit, den wir Erwachsene manchmal schon verloren haben.

Wie gehen Sie bei der Entwicklung von Geschichten vor, um sicherzustellen, dass Sie veraltete Bilder und Klischees vermeiden?

Ich schreibe erstmal so, wie es mir direkt einfällt. Durch viel Lernen und meine Arbeit ist mein Denken und meine Sprache schon recht diskriminierungssensibel. Aber auch ich bin so sozialisiert, dass vieles mir „normal“ vorkommt, während es eine bestimmte Personengruppe ausschließen oder diskriminieren könnte. Also mache ich das, was ich allen rate, die sich eingestehen, nicht alles zu wissen: ich hole mir Hilfe. Für mein Kinderbuch über ein autistisches Kind habe ich mir ein Sensitivity Reading von 2 autistischen Personen geholt, die wirklich gute Tipps und Impulse gegeben haben. Denn als Mutter eines autistischen Kindes kann ich vieles beschreiben und erahnen, aber die Innenperspektive fehlt mir.


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Kinderbücher haben die Kraft, Werke und Vorstellungen bei jungen Lesern zu formen. Wie versuchen Sie, positive Botschaften über Vielfalt und Toleranz in ihren Büchern zu vermitteln?

Diese Botschaften können auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Zum einen: „Wer wird gezeigt?“ betrifft das Thema Repräsentation. Sowohl im Plot, in der Beschreibung und natürlich auch in den Illustrationen muss Vielfalt eine Selbstverständlichkeit sein. Diese Vielfalt muss über das hinausgehen, was wir sehen. Damit meine ich, dass es nicht reicht, Schwarze Personen und of Color oder behinderte Menschen einzubinden, diese müssen auch funktionale oder Vorbildrollen einnehmen. Sie müssen auch, wie alle anderen, mal die Hauptrollen besetzen, sie müssen die sein, die die Handlung vorantreiben. Wenn wir uns in den Geschichten anschauen, wer im Mittelpunkt steht und wer „nur“ ergänzen soll, wird schnell klar, dass sich einiges ändern muss.

Mein zweiter Schwerpunkt ist zum anderen natürlich die Sprache, die muss neutral oder positiv besetzt sein. Ich verzichte auf Wörter, die einen Namen vergeben, z. B. „Wutzwerg“, weil die immer eine Wertung enthalten, ohne dass man es immer wahr nimmt. Ich bringe wertschätzende Sprache ein und vermittle den Lesenden, dass sie diese Sprache gerne übernehmen können, wenn sie das Gefühl haben, dass sie etwas anders machen wollen. Viele stellen fest, dass sie allein durch weg lassen mancher Wörter ein völlig neues Weltbild bekommen.

Zuletzt sind diese Botschaften natürlich auch immer klar und offensichtlich „Du bist genug“, „du bist wertvoll“, „du musst nichts sein, was du nicht sein möchtest“. Wir nennen das in der Antirassismus Forschung Empowerment, also Bestärkung. Diskriminierte Kinder erfahren von vielen Seiten und auf verschiedenen Ebenen das Feedback, dass sie falsch oder zu viel oder nicht genug sind, weil sie außerhalb einer Normgesellschaft existieren. In dieser wird der Wert an Merkmalen wie weiß sein, nicht behindert sein oder nicht auffallen im Sinne von „passt ins System“ gemessen.


 

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Sie bieten Workshops in Kitas und Bibliotheken an. Was sind die Hauptziele und Schwerpunkte dieser Workshops?

Das Hauptziel meiner gesamten Arbeit und vor allem meiner Workshops, in denen ich direkt mit Menschen arbeite, ist immer ein Perspektivenwechsel. Damit meine ich, dass die Teilnehmenden nach meinen Worten darüber nachdenken, dass sie die Dinge jetzt ganz anders sehen. Vielen fällt überhaupt erstmal auf, dass im überwiegenden Teil der Bücher in den Regalen die Vielfalt fehlt, dass wir kaum Superheld*innen of Color haben oder dass die Kinder kaum wissen, wie sie bei rassistischen Vorfällen reagieren können.

Ich lege viel Wert darauf, eine antirassistische Basis bei den Teilnehmenden zu schaffen, weil ich glaube, dass das langfristig bleibt. Beispiele zu besprechen kann zwar helfen, verschiedene Rassismen oder Diskriminierung aufzudecken, aber um zukünftig diese Beispiele selber zu entdecken, braucht es ein Verständnis für die Strukturen, in denen das alles verankert ist. Außerdem betone ich immer wieder, dass es fortwährende Beschäftigung mit dem Thema braucht und wir alle uns immer wieder weiterbilden müssen: durch Bücher, Filme, Austausch, viel Nachdenken.

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Solidarität beginnt da, wo es weh tut